Birgit Baumkötter-Glawe - Praxis für Psychotherapie

Autismus allgemein

Es gibt unterschiedliche Ausprägungen und Erscheinungsformen im Autismus-Spektrum. Autismus ist eine komplexe neurologische, genetisch bedingte Veränderung der Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitung des Gehirns, die sich in verschiedenen Bereichen des Verhaltens, der sozialen Interaktion und der Kommunikation manifestieren kann. Die Symptome von Autismus können von Person zu Person stark variieren und reichen von milden Schwierigkeiten bis hin zu schwerwiegenden Einschränkungen.

Die klassischen Kriterien nach ICD-10 und DSM-V vernachlässigen völlig die Innensicht der Betroffenen, weshalb es vermutlich häufig zu Diagnoseschwierigkeiten bei den „gut maskierenden Personen“ kommt. Die üblichen Diagnosekriterien, bzw. Kernsymptome sind laut Diagnosesystemen folgende: beeinträchtigte Fähigkeiten in Aufnahme und Aufrechterhaltung sozialer Interaktion, beeinträchtigte Fähigkeiten in Aufnahme und Aufrechterhaltung sozialer Kommunikation und eingeschränkte, repetitive und unflexible Verhaltens- und Interessenmuster. Für mich sind folgende Marker-Symptome (nach Brit Wilczek) mindestens genauso wichtig: Besonderheiten in der Reizverarbeitung (z.B. schnelle Reizüberflutung, starke Wahrnehmung von Reizen), oft Detailwahrnehmung und hohe Assoziationsdichte, Probleme Relevantes von Irrelevantem zu unterscheiden (bei gleichzeitigem Bedürfnis nach Vollständigkeit/Vollkommenheit), seismografisch feine Empfindsamkeit für Spannung (bei Schwierigkeiten der Deutung), Bedürfnis nach Kontrolle, Sicherheit & Struktur, Fokussierung der Aufmerksamkeit auf bestimmte Themen, kein „sozialer Autopilot“, „ein klarer Blick“, Direktheit, Ehrlichkeit, oft hoher moralisch-ethischer Anspruch.

Auch diese Symptome können in unterschiedlichen Ausprägungen und Varianten vorkommen, frei nach dem Motto: „Kennste einen (Autisten), kennste einen“. Autismus ist ein Spektrum, weil sich Menschen in den vermeintlich autistischen Merkmalen sehr voneinander unterscheiden, sowohl Autisten als auch Neurotypische. Es gibt nicht „den einen Autisten“. Wann und wo Probleme entstehen, ist sehr unterschiedlich und kann nicht kategorial in Störung und „Nicht-Störung“ unterteilt werden.

Mir als Psychotherapeutin und als Mensch ist es wichtig, dass Autismus oft keine Störung sondern eine Besonderheit ist, die andere Störungen schneller hervorrufen kann, als es bei anderen Menschen der Fall ist. Tatsächlich behandle ich in meiner Praxis ja nicht „den Autismus“ sondern die problematischen psychischen Störungen, wie z.B. Depressionen, Ängste, Zwangsstörungen. Den Autismus und seine Ausprägungen im individuellen Fall zu verstehen, ist die Grundlage und immens wichtig für die Therapie, um die problematischen Störungen überhaupt behandeln zu können. Oft führen die Standard-Interventionen in der Psychotherapie bei Autist:innen genau zum Gegenteil und verstärken die Symptomatik.

Es sollte aber um die Anerkennung der Besonderheiten autistischer Menschen in der Wahrnehmung, im Denken und Erleben sowie in der sozialen Erfahrung gehen, um dann geeignete individuelle Lösungen zu finden.